Dies ist nicht das Original-Cover, sondern meine Version davon. Ich war von Anfang an von dieser Platte fasziniert – und einen großen Anteil daran hatte das Cover. Nun unterliegt so ein Plattencover dem Copyright, also habe ich improvisiert und eins meiner Bilder in Dienst genommen, um an die Stelle des Originals zu treten.
Auf der Höhe der Zeit
Es war Herbst, und es war das Jahr 1969. Ich saß im Zug von Leverkusen nach Kiel. Ich hatte zwei Semester mit mäßigem Erfolg in Bonn die Juristerei studiert. Als ich das Studium begann, war für mich ein Jurist gleichbedeutend mit einem Rechtsanwalt, der durch schlaue Argumentation und geniale Wendungen die Entscheidungen zugunsten seiner Klienten beeinflusste. So etwas schien mir eine zu mir passende Aufgabenstellung. Wie überrascht war ich, dass Argumente nur galten, wenn sie schon irgendwie in Gesetze eingearbeitet waren oder in Entscheidungen von Gerichten. Ein Gedanke galt nur etwas, wenn er als Zitat geäußert wurde. Das aber bedeutete endloses Wälzen und Durchlesen staubigster Dokumente in muffigen Räumen,, während draußen das Leben tobte Ich begann zu ahnen, dass bei mir von Anfang an ein Missverständnis über das Studienfach und seine Ziele vorlag. Heute würde ich es so beschreiben: Es geht nicht um die absolute Forderung von Gerechtigkeit, sondern um das Recht als Garant für ein friedliches Zusammenleben, um die Reflexion und Praxis eines Regelwerks, das mit den Menschen sich weiter.entwickelt und sich müht, beim Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Interessen von Individuen oder Organisationen für beide Seiten im Prinzip akzeptable Lösungen zu finden und Entscheidungen zu treffen. Nur, so klar war es mir damals dann doch noch nicht, und ich hatte im Reisegepäck die immer noch naive Hoffnung, an einem anderen Ort, an einer anderen Universität auf Reset drücken zu können und bei einem zweiten Anlauf doch noch das Glück mit meiner Studienwahl zu finden. Ich war also, sehr wahrscheinlich altersbedingt, guter Dinge. Es war Anfang Oktober, die Sonne schien während der ganzen Fahrt, und hinter Hamburg wurde es sehr ruhiger in den Abteilen. Die letzten Reisenden hatten mein Abteil in Lübeck verlassen, ich war allein und hatte viel Platz. Mein Blick fiel auf mein Gepäck und ich konnte beruhigt feststellen, es war noch alles da. Ich legte die Füße hoch, nahm mein Notizbuch zur Hand und notierte einige Zeilen, die mir in den Kopf kamen.
Über mir machte der alte Reisekoffer, mit den Textilien, der Bettwäsche, den Handtüchern und anderem Kram seltsame, fast quietschende Geräusche. In seinem großen Bauch lagen gleichmäßig verteilt und gepolstert ein paar Bestecke, Teller und Tassen, sowie einige Küchengeräte, wie ein Dosenöffner und ganz heikel, einige Gläser aus der damals als chic geltenden INGRID Kollektion, die ich ein Jahr zuvor zu Weihnachten bekommen hatte. Daneben lag meine Sporttasche mit den Sportsachen und ein paar Büchern, u.a. das „Schicksalsbuch“ (ich komme darauf noch zu anderer Zeit zurück) „Keiner Weiß Mehr“ von Rolf Dieter Brinkmann, eine große Einkaufstasche mit meinen Schallplatten und last not least mein Dual-Plattenspieler, dessen Lautsprecher so konstruiert waren, dass sie gleichzeitig als Deckel auf den Plattenspieler passten und ihn damit zu einem Gesamtgepäckstück machten.. Der Korpus war mit einem Griff versehen, so konnte man ihn einigermassen gut tragen. In Kiel angekommen, schulterte und ergriff ich mein Hab und Gut und verließ den Bahnhof. Als ich auf den Bahnhofsvorplatz hinaus trat, schien es mir nach Meer und Hafen zu riechen und einige kreischende Möwen taten ein übriges um mich in einen fast schon euphorischen Erwartungszustand zu versetzen. Zwar war ich in der Fremde gelandet, aber mir schien, auch genau da, wo ich hinwollte.
Mein angemietetes Zimmer in einem größeren Mietshaus am Sophienblatt, wie ich notiert hatte, lag nur ca. 800 Meter vom Bahnhof entfernt und ich machte mich auf den Weg. Der Vormieter, ebenfalls Student, wollte mich um diese Zeit in dem Zimmer erwarten und wir wollten dann, ein Mittelsmann aus Lüneburg hatte das für mich so arrangiert, zum Vermieter gehen, und die Formalitäten erledigen.
Das Gepäck sorgte dafür, dass ich zum ersten Mal verstand, was ein Passionsweg ist. Aber auch, dass es möglich ist, einen Leidensweg zu akzeptieren, wenn er auf ein Ziel sich zubewegt. Erstaunlicherweise hatte ich nicht das Gefühl von den anderen Passanten besonders beachtet zu werden, auch nicht, nachdem ich schon begonnen hatte, deutlich zu schwitzen. Ich setzte Fuß um Fuß, und entdeckte in mir eine Veranlagung zum Stoiker. Als ich mein Ziel erreichte, stellte ich fest, dass mein Zimmer im dritten Stock lag. Es war wirklich nur ein Zimmer, aber es hatte einen direkten Zugang zum Flur, wobei die Toilette eine halbe Etage höher lag und auch vom Treppenhaus aus zugänglich war.
Das ganze Treppenhaus schien mit weißem Staub gepudert, hier wurde offensichtlich gebaut, wirkte ansonsten aber solide. Beim Zimmer angekommen, klopfte ich kurz und versuchte einzutreten, aber die Tür war verschlossen. Ich wiederholte den Vorgang, klopfte etwas energischer, aber die Tür öffnete sich nicht. Fängt ja gut an, dachte ich. Dann hörte ich hinter der Tür ein Geräusch. War da eine Katze, oder doch …? Ich legte mein Ohr an die Tür und dann hörte ich es, zunächst undefinierbare menschliche Laute und ein gleichmässiges rhythmisches Ächzen und Quietschen des Bettgestells. Es war nun einmal 1969, und da waren offensichtlich zwei Menschen auf der Höhe der Zeit. Nun gut, ich brauchte etwas Geduld, aber die Lage war nicht hoffnungslos. Ich setzte mich also auf die Treppe, und wartete auf das Ende der Siesta. Das kam relativ bald, der Schlüssel wurde im Schloss gedreht, die Tür ging auf und ich durfte eintreten.
Die Bettwäsche war schon zu einem Packen gerollt, mein Verbindungsmann gab mir die Hand, und stellte sich als Gerald vor, während seine Begleitung vor dem Waschbecken mit dem Spiegel stand und sich die zerzausten Haare bürstete. Sie verließ kurze Zeit später die Wohnung, schenkte dem Raum und uns mit einem kurzen Blick zurück ein flüchtiges Lächeln und war verschwunden, nur die ersten Schritte auf dem Weg nach unten erreichten noch unsere Ohren. Die restlichen Schritte gingen ein in die Geräusche, die von der viel befahrenen Straße nach oben drangen. Offensichtlich hatte sich die Haustür hinter Ihr nur halb geschlossen, als sie hinausgegangen war. Mein Gegenüber, so hatte es den Anschein, war mit sich zufrieden und wandte sich mir mit einer Art Wohlwollen deszwei Semester Älteren zu. Seine Blicke streiften über mich und meine Habe und er sagte: Oh, du hat deine LPs mitgebracht. Das sind ja einige. Na ja, über vierzig sind es schon, antwortete ich, jetzt meinerseits auch ein wenig stolz. Darf ich mal, fragte er und näherte sich meiner Tasche, die ich an dem großen Schreibtisch abgestellt hatte, einem der wenigen Möbel im Zimmer. Ich kannte diesen Reiz, der von einem Stapel Schallplatten ausgehen konnte, und gewährte ihm großzügig Zugang. Er nahm den Stapel mit zum Stuhl, auf dem er gesessen hatte und begann, Platte für Platte zu inspizieren. Es war schnell klar, dass meine Auswahl ihm einen gewissen Respekt abnötigte. Jimi Hendrix, Procol Harum, Beatles, Rolling Stones, The Moody Blues, ja Nights In White Satin war großartig, waren wir uns sofort einig, The Kinks waren auch dabei, und dann entdeckte er sie, die neue Platte von Fleetwood Mac. Then Play On. Es war die letzte, die ich noch vor meiner Abfahrt gekauft hatte. Ich hatte sie schon ein paar Mal gehört. Sie gefiel mir. Sie gefiel mir richtig gut, je öfter ich sie hörte. Wollen wir mal reinhören, fragte er vorsichtig. Mein Plattenspieler war im Nu betriebsfertig und wir hörten die ersten Klänge von „Coming Your Way“ , die jeweils zwei Akkorde der zwei beteiligten E-Gitarren, eine auf der linken Seite, die andere auf der rechten Seite, die rollenden Tom Tom Schläge, die den Akkorden in den Klang fallen und die Gitarren, die das melodische Motiv des Songs vorstellen und sogleich beginnen, eigene Wege zu gehen, sich umschlingen und sich wieder voneinander lösen … Hast du schon mal einen Joint … Beim nächsten Mal bringe ich ein Stück Shit mit … sagte mein unbekannter Kommilitone. Wir fanden uns gegenseitig ok. Es war das Jahr 1969. es war Herbst, wir hörten Fleetwood Mac und wir waren offensichtlich auf der Höhe der Zeit.
Danach erledigten wir die Sache mit meinem Mietvertrag, und er zeigte mir noch den Weg in die Stadtmitte. Wir betraten den größten Plattenladen Kiels, wie er mir beim Betreten erklärte, und sahen, wie ein Angestellter einen Stapel neuer LPs aus einem Karton nahm. Es war Led Zeppelin II. Kurz danach lief die LP über die Anlage des Ladens, ich kannte die erste Led Zeppelin. Aber was ich da hörte, verwirrte mich. So viele Klangeffekte, so viele Breaks und Tempowechsel. Ich brauchte drei Tage für die Entscheidung, dann kaufte ich sie mir doch. Ich war zum Studieren gekommen, aber fast täglich gab es neue Musik zu entdecken. Es war der Herbst 1969. Meine Gegenwart leuchtete in hellen Farben, aber meine Zukunft lag im Nebel der Unvorstellbarkeit. Ich war auf der Höhe der Zeit.
Es war die Zeit als alles möglich schien und vieles möglich wurde. Die Band Fleetwood Mac war mit ihren ersten zwei Alben zum Aushängeschild des britischen Blues-Booms der späten sechziger Jahre geworden. Viele halten ihre erste LP mit dem gelungenen Titelfoto, das der eigentlich titellosen LP schon bald in Fankreisen den Beinamen „Dog & Dustbin“ einbrachte, ohnehin für die beste englische Bluesplatte. Fleetwood Mac hatten von Beginn an einen authentischen Stil gespielt, geprägt durch die beiden Gitarristen Jeremy Spencer, der den stilprägenden amerikanischen Bluesgitarristen Elmore James verehrte und gekonnt aber wenig originell dessem Slide-Gitarrenspiel nacheiferte und durch den eigentlichen Bandleader Peter Green, der u.a. Otis Rush, Buddy Guy und B.B. und Freddie King zu seinen Vorbildern zählte. Dem Debüt folgte eine gute, aber weitgehend formelhafte Wiederholung der ersten Veröffentlichung. Sie enthielt so gut keine erkennbaren Hinweise auf das, was mit der dritten LP folgen sollte. Aber die psychedelischen Drogen erreichten auch die Blues Szene und insbesondere Peter Green begann nach neuen musikalischen Ufern Ausschau zu halten. Der Blues blieb sein Treibstoff, aber er ignorierte seine etablierten Formatierungen. Erste Hinweise gaben die Singles der Band. Mit „Albatros“, einem Instrumentaltitel, fand zunächst eine Entschleunigung des musikalischen Konzepts statt, ein dritter Gitarrist kam mit Danny Kirwan hinzu, der eher eine traumhafte, schwebende Spielart des Blues favorisierte und scheinbar wie ein Katalysator auf Peter Green wirkte, dessen Spiel zwar auch größte Dynamikunterschiede zelebrierte, vom Klang her aber eher klagend bis zornig daher kam. Dieses Dreigestirn macht sich dann im Laufe der Monate, die diese Besetzung Bestand hat, an die Aufnahme eines neuen Longplayers. Die nächste Single, „Man Of The World“ tritt noch mehr auf die Bremse, um gleichzeitig in schwelgerischen Klängen Trauer und Resignation zu besingen. Die entstehende Langspielplatte „Then Play On“ (1969) setzt diese Erkundung fort, von folkhafter transparenter Akustik bis hin zu dampfenden Jam-Sessions, in denen sich die Gitarristen im Wechsel zu improvisatorischen Höhepunkten treiben, von stilsicheren, zugleich inspirierten Rückgriffen auf klassische Bluesvarianten und dem, was in Kürze nur noch Rock heißen wird. Was entsteht ist vom ersten Hören an ein WOW Album, ein Meisterwerk, das in dieser remasterten Version endlich in der historisch korrekten Form veröffentlicht wird, denn ursprünglich war die parallel erschienene Hit-Single „Oh Well“ nicht in die originale Titelfolge integriert gewesen. Sie erscheint deshalb auf dieser CD folgerichtig in einem Anhang, heutzutage Bonus-Tracks genannt. Hier taucht auch noch die damals zeitnah veröffentliche erfolgreiche Single „The Green Manalishi“ mit ihrer B-Seite auf. Alles in allem eine musikhistorisch epochale Songkollektion, und endlich eine der besten LPs aller Zeiten in einer angemessenen korrekten Version.
PS. Wer einen tiefen Einblick in diese kreative Umbruchphase der Band bekommen möchte, kann dies anhand der beiden Doppel-Cds „The Vaudeville Years 1968-1970“ und „Showbiz Blues 1968-1970“, die leider vergriffen sind und nur hin und wieder auf den üblichen Verkaufsplattformen auftauchen. Hier finden sich viele unveröffentlichte Songs oder unbekannte Versionen von bekannten Titeln, sowie Demos und Live-Aufnahmen in unterschiedlicher Qualität. Ein besonderes Lob verdient die großzügige Editierpraxis, die sich die Freiheit nimmt, den gesamten Prozess eines Jams wieder zu geben. Die ersten noch suchenden Töne, die Emergenz des Rhythmus, die Zunahme des Drives, die Höhenflüge der Solisten und ihre mal sanfte Landung, mal die entkräftet ins Ende taumelnde Endphase des Jams dokumentierend. Der Hotspot sind die zwei Madge-Sessions, die auf der späteren LP nur als Auszug erschienen sind und hier in voller Länge wiedergegeben werden, ein Blick in den E-Gitarren-Himmel.
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