eine plattenladen fantasie (once based on the title photo of a BEAR FAMILY catalogue)
Es gab mal eine Zeit vor dem Internet. Auch da wurde schon weltweit gehandelt und wir Sammler von Schallplatten und später von CDs gingen auf die Jagd nach dem Ultimativen mit Hilfe von Katalogen. Es gab Händler, die ihre aktuellen Angebote auf schnell kopierten Blättern an uns verschickten und es gab die Premium-Anbieter, die uns die Welt spezieller Musikrichtungen in regelmäßig alle paar Monate erscheinenden, gebundenen Katalogwälzern näher brachten. Die hauptsächliche Suchfunktion, die man aktivieren musste, war in uns selbst. Eine epische Ausdauer, biblische Geduld und Augen, die bereit waren an ihre Grenzen zu gehen, sich Lider und Pupillen aufrissen und bereit waren Papier zu fressen. Einer der schönsten und informativsten Kataloge dieser Art war der BEAR FAMILY Katalog aus good old Germany. In diesem Mutterland der westlichen Kultur der Neuzeit hatte sich ein Mensch die Aufgabe gestellt, nahezu im Alleingang das gesamte Schaffen der amerikanischen Country & Western Musiker zu dokumentieren.
Das deutsche Geschichtsbewusstsein wollte der amerikanischen Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Musikgeschichte entgegen treten und bewahren und den Fans der Musik das Lebenswerk des jeweiligen Künstlers zur geflissentlichen Wertschätzung übergeben, Und möglichst vollständig. Über Jahre leistete Bear Family eine beispielhafte detektivische Spurensuche und Dokumentationsarbeit. So wurden nicht nur Gesamtausgaben von Künstlern erstmals in hochwertiger Darbietung veröffentlicht, sondern auch vor der wahrscheinlichen Vernichtung bewahrt. Dies war ein kostspieliges Unternehmenskonzept, was sich dadurch gegenfinanzierte, dass es eine Mailorderabteilung aufbaute. Ich war damals ein großer Fan des Rhythm’n’Blues, und Bear Family war auch dafür die richtige Adresse. Also kamen in regelmäßigen Abständen die Kataloge. Und einer dieser Kataloge – ich nehme an Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts, hatte ein Titelbild, dass mich sofort faszinierte. Es zeigte ein Foto von einem Plattenladen im Chicago der fünfziger Jahre. Ich hatte sofort den Wunsch, dieses Bild als großes Poster in meinem Zimmer aufzuhängen, aber wie sollte das gehen. Der Wunsch aber blieb und drückte sich darin aus, dass ich irgendwann alle Kataloge aus meinen Regalen entfernte – es gab ja jetzt ein Internet – aber dieses eine Blatt bewahrte ich auf. Irgendwann, nur kurze Zeit nachdem ich mit dem Malen angefangen hatte, kam mir in den Sinn, das Foto als Vorlage für ein Bild zu nehmen. Seit einem Jahr hängt es als großes Poster an meiner Zimmerwand. Manchmal dauern die Dinge eben etwas länger. Und diese Musik mag ich immer noch.Schade, dass wir späten Betrachter nie erfahren werden, welche Musik in dem Moment der Aufnahme des Fotos tatsächlich über die Lautsprecher lief. Vielleicht ONLY YOU von den Platters, oder MY BABE von Little Walter…