hausmeister revisited – neues vom hausmeister
Artikel aus der Lüneburger Hanse-Zeitung vom 28.02.2020
Leser dieser Zeitung werden sich womöglich noch erinnern. Im letzten Jahr war ich an einem dieser ungewohnt heißen Tage aufgebrochen, um mir und unseren Lesern ein Bild zu machen von einem newcomer in der ach so lebendigen Lüneburger Kunstszene, dem inzwischen 70-jährigen damaligen Handymaler mit dem so verständlichen wie irritierenden Namen hausmeister-heuser. Seit dem 1.April in diesem Jahr betreibt er seine (im letzten Jahr noch als Zukunfts-Traum bezeichnete) Website www.hausmeister-heuser.de. Dort wird allen Hinguckern, die meinen Bericht vom letzten Jahr noch in Erinnerung haben, schon bald klar, hier hat sich etwas entwickelt. Motive haben sich geändert und auch die Farbgebung ist aus dem Korsett des Handys gestiegen und experimenteller geworden… Mit diesen Gedanken im Kopf fahre ich zum zweiten Mal in meinem Leben vor diesem Haus vor. Die Verabredung des Termins war auch diesmal unkompliziert und freundlich verlaufen. „Ja, natürlich erinnere ich mich…“, hatte er sofort auf eine vorsichtige Nachfrage geantwortet, und auch gleich den Bezug zu unseren Abschiedsworten hergestellt. „Versprochen ist versprochen“, hatte er kurz und knapp gesagt und gleich meinen ersten Terminvorschlag mit einem einfachen und trockenen „passt“ durchgewinkt.
In der Folge hatte ich mich immer wieder auf diesen Termin gefreut und als wir uns begrüßten, hatte ich sofort den Eindruck, willkommen zu sein. „Wann warst du das letzte Mal hier?“ Ich antworte und er staunt. „Fast ein Jahr“, sagt er, und, „wie schnell doch die Zeit verfliegt“. Und ich denke, nein, das ist nicht banal, für ihn ist Zeit eine andere Kategorie. Für ihn ist sie endgültig der Hund, von dem alle Jüngeren behaupten, der beißt doch nicht. Er aber weiß es besser. Der Hund wird beißen, ist er sich sicher, denn er hat schon einige Male nach ihm geschnappt. Offensichtlich ist sein Mitteilungsbedürfnis in diesem Punkt nicht sehr ausgeprägt. „Ich habe dich doch richtig verstanden. Du schreibst nicht für die Apothekenrundschau?“. Damit war das Thema erledigt, bevor es eins werden konnte.
Ich habe das mich leicht verunsichernde Gefühl, dass die Unterhaltung mit meinem Gastgeber diesmal mehr Sensibilität erfordert, aber vielleicht auch besonders interessant werden könnte. Kann er das letzte Jahr aus seiner Sicht zusammenfassen. „Ich kann es versuchen, zumindest einen Anfang machen“, antwortet er etwas zögerlich. „Es gibt da nicht den einen Nenner, mit dem sich alles in einem Satz zusammenfassen ließe“.
„Zunächst einmal“, beginnt er einen längeren Monolog leicht schleppend, „ist da die Erfüllung eines Wunsches, nämlich den nach einer Ausstellung meiner Arbeiten. Sie war im Wasserturm in Lüneburg , und damit gleich in einer der top locations für solche Veranstaltungen hier vor Ort. Dafür bin ich allen Beteiligten, denen, die mich ermutigt haben, denen, die die Verbindung hergestellt haben, der Leiterin der Location, die meine Arbeiten für interessant genug eingeschätzt und mir diese Räume angeboten hatte, und allen, die mich unermüdlich in die Startblöcke für diesen nächsten Schritt gedrückt haben, dankbar.
Es ist ein großer Schritt, zumal in meinem Alter, der für mich etwas Totales bedeutet hat. Ich musste noch einmal meine Arbeiten daraufhin befragen: Gehöre ich schon dort hin, in diese spezifische Öffentlichkeit. Diese Frage ist so etwas wie ein Dauerbrenner. Aber ich habe sie letzten Endes immer wieder mit ja beantwortet. Lieber diese Form des Übermuts als ein selbstverliebtes Schwelgen im Zweifel.
Ein wichtiges Bindeglied zwischen mir und meinem Publikum sollte dabei meine Website sein. Ich hatte auch hier Glück, denn ich habe einen Webmaster gefunden, der mir all das erklären oder auch selbst umsetzen kann, woran ich alleine in jedem Fall gescheitert wäre. Seit dem Start am 1. April 2019 konnte ich über diese Präsenz erste Interessenten für meinen „Way of Generating Visuals“ finden, stellte damit aber im Vorfeld der Ausstellung, während der Ausstellung und in der Zeit danach eine dauerhaft vorhandene Kontakt- und Kommunikationsfläche zur Verfügung. Ich wünsche mir jetzt nur noch, dass diese Möglichkeit zum Kontakt und zur Diskussion auch wirklich ausgiebig von vielen Nutzern mit Leben gefüllt wird“. Dann wurde es still im Raum. Offensichtlich kam die Erinnerung zurück an diesen ersten Erfolg. Er schien das zu spüren und seine Bemerkung schloss unmittelbar an das an, was ich in diesem Moment überlegt hatte. „Ja, es war ein Erfolg, kein Durchbruch. Nein. Aber ein Erfolg.“ Die erste Bestätigung für die Ausstellungstauglichkeit der Bilder dieses krassen Nachzüglers.
Selbstverständlich hatte ich mir vor meinem Besuch diese Website schon das eine oder andere Mal angeguckt, und musste zugeben, dass sich mir die kreative Vielfalt des Angebotenen erst in dem Moment erschlossen hatte, in dem ich mir wirklich die Zeit nahm, in dieses wundersame Puzzle einer Bilder- und Gedankenwelt einzudringen. Ich sah die Farben explodieren, ich hörte die Musik zu den Bildern, ich las die Texte zu den Bildern, ich las die Texte über den Autor, las Reflexionen und reportageartige Texte, die besondere Momente der Kindheit versuchten festzuhalten, las Plattenrezensionen, und Konzertreviews, denen man eins ganz schnell zugesteht, sie stammen von einem Autor, der schreiben kann, und der so schreibt, dass der Spaß beim Lesen ein treuer Begleiter wird. Bei einigen Texten tritt dieser Spaß allerdings etwas zurück und übergibt an den Spaß des herausgeforderten Denkens. Zum Beispiel in dem Beitrag „Ist alle Kunst autobiographisch?“ Diesem Text gilt meine nächste Frage. „Eine gewagte Hypothese wird dort verhandelt, wie ich finde…“.. „…natürlich“, sagt er darauf, „aber kochen wir nicht alle mit Benzin“ und kommentiert seine Einlassung mit einem grimmigen Blick, den ich bisher bei ihm noch nicht bemerkt hatte.
Er reklamiert sein Recht auf die eigenen Gedanken auch in der Weise, dass er den Status des Geschriebenen, wie zum Beispiel die Identitäten der auftauchenden Personen, immer wieder in der Schwebe hält. Ist dies nun die mutige Argumentation eines Mannes aus dem intellektuellen Off, oder sind diese Sätze eine spielerische Variante seiner Bilder als Text. Ich versuche vorsichtig danach zu fragen: Wie entstehen diese Texte, die sich alle durch die Unmittelbarkeit ihrer Anfänge in ihrer Anlage gleichen? „Ja, gleichen …“ er spricht zögerlich – seine Stimme ist manchmal leise, fast tonlos – aber auch wie jemand, der Zeit für eine Antwort reklamiert. „Da hast du wahrscheinlich etwas gesagt, was für mich selbst noch unklar war… die Analogie zu einigen Bildern ….könnte das erklären. Diese Texte entspringen einer Denkidee, die sich entrollt, wenn ich sie niederschreibe, aber dann auch da aufhört, wo die Rolle aufhört. Es ist tatsächlich wie bei meinen Bildideen, die auf irgendetwas im Bild, das ich bearbeite reagieren. Da ist etwas im Bild, es ist nicht das ganze Bild, sondern etwas subjektives, Besonderes. Es ist unausgewogen, es ist ungerecht, aber es ist kein Fake. Es existiert. Ich arbeite es heraus, und der Betrachter wägt es ab. Da hat sich ein Ideengewöll verfangen, das ich hervorhole, es schreibt sich aus mir heraus und der Text endet oft abrupt. Aber er ist meist ziemlich schnell aufs Papier gebracht, während das Nachvollziehen und Nachbessern der Argumentation wesentlich länger dauern kann. Gleichzeitig wollen diese Texte nicht immer das letzte Wort haben, sondern geben diese Versuchung an das Publikum zurück. Urteile, wenn du es nicht erträgst zu sehen!
Zu meinem Bild „laughing fish“ werde ich immer wieder gefragt, wie bist du auf diese Idee gekommen und ich muss dann antworten, ich weiß es nicht, aber ich nehme an, ich habe einen lachenden Fisch schon irgendwo in diesem Foto vor der Bearbeitung entdeckt. So scheint es mir auch bei vielen Texten. Sie malen ein Bild, das Bild eines Gedankens. Das ist „framed thinking“. Ich sags mal schnell, bevor ich es wieder vergesse. Da ist keine Argumentation, die sich entwickelt, sondern da ist der Strom des Nachdenkens an einem bestimmten Punkt eingefangen, eingerahmt könnte man sagen. Da ist nur ein willkürlich gesetzter Ausschnitt, man weiß nicht wirklich, was um diesen Ausschnitt herum ist. Als Bild fällt mir da meine Bearbeitung eines Fotos von dem Geflecht eines Strandkorbs ein.“
Bin gleich wieder da, sagt er, windet sich aus den tiefen Falten des alten Ledersessels, stürmt die Treppe hinauf in sein Atelier, man hört ein kurzes Rascheln, und schon ist der ältere Herr auf dem Rückweg, die Treppe quietscht unter seinen Schritten und im nächsten Moment steht er mit erwartungsvollem Blick vor mir und in seiner hochgehaltenen Hand befindet sich einer dieser seltenen Artefakte.
„Dieses Bild will als solches wahrgenommen werden, nicht als Teil eines größeren semantischen Zusammenhangs. Das ist für mich Abstraktion.“
Jetzt hat uns unsere Unterhaltung wirklich in ein Feuer versetzt, das nur schwer zu löschen ist. Könnte man dann sagen, dass deine Texte bildhafte Eigenschaften haben und deine Bilder einen Text. Er stimmt mir sofort zu. „Bei vielen Texten ist es offensichtlich. Sie entstehen aus der Beschäftigung mit Fotos aus meinem Leben. Für mich zeigen diese Fotos schon den Text, aber in einer Insider-Version, für die dann der aufgeschriebene Text wie eine Übersetzung funktioniert, durch die er dann auch für andere zugänglich wird. Für den Schreibenden selbst tritt damit aber auch erstmals der Gegenstand des Bildes hervor, weil der „Eingeweihte“ das Bild attributiv wahrnimmt, weil er immer schon meint zu wissen, wovon die Rede ist. Durch das Nachtrachten über das Bild kann diese Gewissheit allerdings auch ins Wanken geraten, man muss dazulernen, um das Bild zu verstehen“. „Gilt hier denn auch der andere Weg?“ frage ich zurück. „Lassen sich manche Texte erst verstehen, wenn man ein Bild von ihnen hat?“ Er spürt, dass ich ihn herausfordere. Seine Antwort kommt schnell: „Unbedingt, es kann nur so sein!“ Er steht auf, verlässt wieder das Zimmer, er sei gleich zurück, verstehe ich noch, als er durch die Zimmertür verschwindet. Kurze Zeit später kehrt er zurück mit einem Laptop unter dem Arm, setzt sich wieder an seinen Platz, öffnet ihn auf seinen Oberschenkeln ruhend und beginnt zu suchen. „Ich habe da so einen Text, den ich noch nicht freigeben mochte, weil ich ihn selbst bislang nicht einordnen konnte. Es ist die Formulierung einer systemischen Theorie der Malerei. Eingebettet in eine marginale Rahmenhandlung (auch hier der Verweis auf das Bildhafte) findet ein Vortrag statt, der sich an diesem Thema versucht“. Er hat begonnen aus dem Manuskript vorzulesen.
Der Vortrag besteht aus einer grotesken Anhäufung von technisch-funktionalen Fachbegriffen, die mit einer bemerkenswerten flächigen Banalität des Bezeichneten kontrastiert, zugleich aber auch einen eigenartigen Sog auslöst, weil sie so unbeirrt fortschreitet. Auch bei diesem Text, den man im einzelnen garnicht verstehen muss (oder doch?) entsteht ein Bild im Leser, das dem Effekt einer optischen Täuschung ähnelt.“Ist es etwa so, dass auf deiner Website Texte und Bilder nicht zwei getrennte Dinge sind , sondern durch ihre Art zu den zwei Seiten einer Medaille verschmelzen, die allerdings auch nicht dieses metallene Monstrum ist, sondern ein gallertartiges Wesen, was sich in ständigen Transformationsprozessen, die ja auch auf deiner Website beschrieben sind (siehe z.B. „The Making Of The Bizzie Lizzies“) auf immer neuen Erscheinungsebenen dekonstruiert und manifestiert usw. Das würde dann bedeuten, dass die gesammelten Artefakte, Bilder und Texte, erst in ihrer Gesamtheit das hervorbringen, was man als DEIN WERK bezeichnen könnte?“ Ich breche an dieser Stelle meine Überlegungen ab, von einem gewissen Stolz erfüllt, mit diesem Mann eine derartige Diskussion geführt zu haben. Ich bin ein wenig erschöpft, schaue auf meinen Recorder, der die ganze Zeit auf dem Tisch liegend unser Gespräch dokumentiert hat, und schaue in das Gesicht meines Gesprächspartners, der vorübergehend abwesend schien, jetzt aber mit einem vieldeutigen Lächeln, das Ende unserer Unterhaltung feststellt. Das wars dann wohl für dieses Jahr, oder?“ Fragt er. Und dann, als wir uns erheben und schon auf dem Weg zur Tür sind, flüstert er mir vertraulich ins Ohr „Dass diese Lüneburger Hansezeitung, für die du schreibst, nur auf meiner Website existiert, hast du nicht vergessen? Oder?“ Wäre sie echt, würde mein Bericht nicht erscheinen, denke ich noch und taumele aus seinem Haus durch den Korridor, in dem sich Realität und Fiktion auf so selbstverständliche Weise treffen. Mir gefällt es hier, denn an diesem Ort ist vieles möglich. Vor allem, hier ist nichts unmöglich. ( Hermann-Mario Bäcker)