chemiekasten!
Man könnte meinen, die Förderung unseres wissenschaftlichen Nachwuchses sei eine Erfindung der Neuzeit, also der letzten zwanzig Jahre, eine Folge z.B. des Pisaschocks. Dem gingen allerdings schon einige andere heute längst vergessene Schocks voraus, wie vor allem der Sputnikschock der späten fünfziger Jahre, als alle Augen auf die amerikanische Raumfahrt gerichtet waren, von der man den Start der ersten Rakete mit einem Satelliten in den Weltraum erwartete, auch wenn damit nur das Verlassen der Atmosphäre der Erde gemeint war. Und dann taten die Russen genau das, was eigentlich allein den siegesgewissen Amerikanern mit ihrem technologischen Vorsprung zugetraut worden war. Sie schossen 1957 ihre Rakete samt Satellit ab, und fortan umrundete dieser als Sputnik 1 die Erde. Dieser Satellit sendete erste, aus heutiger Sicht rudimentäre, Datenverwandte zur Erde, nämlich Kurzwellen, die man auf der Erde empfangen konnte, wenn man es konnte. In der Vorstellung von uns Erdenbewohnern tat Sputnik das mit einem eigenartigen Geräuschaufkommen. Es piepste, knisterte und gluckerte unaufhörlich, aber man war fasziniert und feierte den Mann, der als erster in Mitteleuropa die richtige Frequenz gefunden hatte. Die Amerikaner zogen schon 1958 nach mit dem Explorer Satelliten, aber es blieb der Makel des Zu-Spät-Gekommen-Seins.
Die Kulturschaffenden dieser Erde verarbeiteten diese Zeitenwende mit einer beeindruckenden Mimikry. Die Band „The Tornados“, ein Geschöpf des englischen Experimentalproduzenten Joe Meek schenkte uns (1962) den Hit „Telstar“, . Der deutsche Musik-Markt hatte schon 1961 Gus Backus ins Rennen geschickt mit „Der Mann im Mond“. Der Song begann mit dem klassischen Countdown, wie ihn die Nachrichtensendungen der Zeit immer wieder als erregenden, Angstschweiß treibenden O-Ton zelebrierten. Five, four,three two, one, ignition, start o.ä. sowie dem imponierenden Gebrüll der ersten Raketenstufe. um dann strophenweise eine zwar launige, aber doch biedere Geschichte zu erzählen, die auf dem Mond den Typus Mann vermutete, der mit seinem ausgeprägten Ruhebedürfnis gut einer deutschen Kleingartenanlagenidylle hätte entnommen sein können. Die bange Frage des Mannes im Mond war nämlich, wie lange er noch verschont bliebe von diesen Erdbewohnern, die doch nur Unruhe mit sich brächten. Nicht mehr lange, hätte man antworten können, denn seine Frage würde sich noch im selben Jahrzehnt zu Ungunsten des Mondmannes beantworten. Mit der Landung amerikanischer Astronauten auf dem Mond. (Dazu vielleicht später an anderer Stelle.)
Auf jeden Fall, der sogenannte Sputnikschock hatte der Politik und der Gesellschaft die Frage gestellt, sind wir, der Westen noch gut genug in der Ausbildung unseres wissenschaftlichen Nachwuchses? und eine der Antworten auf diese Frage hieß: Bringen wir die Wissenschaft in die Kinderzimmer. denn früh übt sich ….
Spielsachen, die Eltern ihren Kindern überreichen, spiegeln schon immer die Erwartungen der Gesellschaft an die nachrückende Generation wider. Wir brauchen mehr Forscher und bessere Forscher raunte die Gesellschaft, und so kam es zu einer Renaissance des wissenschaftlich orientierten Spielzeugs.
Meine Eltern wollten da ihren Sohn und auch sich selbst nicht schonen (zu diesem Themenkreis hätte ich noch eine Erinnerung an meine erste Schwimmstunde anzubieten) und beglückten mich zum Weihnachtsfest mit einem Chemiekasten. Die jungen Bombenbauer dieser Zeit waren noch harmlos und bauten mit einer gewissen Vorliebe Stinkbomben, für die man Buttersäure brauchte (mit dem Chemiekasten kein Problem: siehe Anleitung). Die hohe Kunst der Verfärbung schönster Kleidung durch Kaliumpermanganat, kein Problem. Und dann kam das, was zu meiner Spezialität wurde, das Abfackeln von Bernsteinlack in einem Reagenzgläschen. Der kam zwar nicht aus dem Kasten, sondern war eine Restmenge, die übrig geblieben war, als ich mein neues Zimmer im Keller bekommen hatte, für dessen Wandverkleidung aus Holz er gebraucht wurde. Dieser Lack brannte sofort und stieß während des Verbrennungsvorgangs kleine schwarze Rußwölkchen aus, die um mich herum in meinem multifunktionalen Spielkeller langsam zu Boden segelten. Zum Glück, möchte ich aus heutiger Sicht sagen, verlor ich, nachdem ich einige Freunde mit meinem „Experiment“ bekannt gemacht hatte, das Interesse an dem Kasten und seinen Möglichkeiten.
Ich wandte mich kurze Zeit später dem Bau von Raketenstufen zu, die zunächst das Ziel verfolgten, kleine Marienkäfer in einer Kapsel in die Atmosphäre über unserem Garten zu befördern. Als Antriebe hatte ich einige Feuerwerkskörper aus dem Silvesterverkauf zurückgelegt, aber keine großen Böller, sondern die eher harmlosen, für uns Kinder zugelassenen Ladykracher u. ä.. Darunter waren auch kleine rund gestanzte Aluminiumscheiben, die eine Art interne Flügel nach unten ausgeklappt hatten, die für den Auftrieb aber auch für eine höllische Drehung sorgten. Wegen ihres Aussehens, sie ähnelten dem, was man sich als junger Mensch unter einer fliegenden Untertasse, später nur noch UFO genant, vorstellte, übten sie eine besondere Anziehungskraft auf mich aus. Erste Konstruktionszeichnungen aus meinem „Entwicklungsbüro“ machten mir Mut. Ich trug einiges an Material zusammen, vor allen Dingen kleine Dosen, kleine Schachteln und Tablettenröhrchen. Aber ich schaffte es nicht in irgendeiner Weise so etwas wie eine Flugbahn für meine Kreationen zu realisieren. Entweder schossen sie über die Grasnarbe davon, oder schleuderten gleich beim Start die bemannte Raketenstufe ab, und versuchten danach aus dem Restantrieb das Beste zu machen. Es war ein Desaster. Gottseidank, der an der Raumfahrt gehinderte Marienkäfer überlebte und ich ließ bis auf Weiteres das Ingenieurswesen hinter mir und ritt weiter nach Westen einer Jugend entgegen, die es in sich haben würde. (siehe: der erste kuss pt.1 1/ in Arbeit)