der erste kuss – teil 2
mein Frühstart ins Liebesleben war ein Fehlstart, aber mir auch eine Lehre gewesen (siehe teil 1) und ich mied in der folgenden Zeit vergleichbare Situationen. Ganz vergessen konnte ich den wohligen Aufruhr, den ich verspürt hatte, allerdings nicht. Ich machte mich nicht auf die Suche nach einer nächsten Gelegenheit, aber nach wenigen Monaten kam sie zu mir. Ein gutes halbes Jahr nach der ersten Geschichte zum Thema, gab sich das Schicksal erneut die Ehre.
Diesmal war es die Zeit des Karnevals, in der traditionellerweise gesellschaftliche Verabredungen vorübergehend ihre Schwerkraft einbüßen. Als Jugendliche hatten wir mit dem ganzen Mummenschanz drumherum, dem schenkelklopfenden Humor, dem Spiel mit den Identitäten durch Verkleidungen, dem inkognito hinter den Masken wenig am Hut. Was aber unser volles Einverständnis bekam, war die allgemeine Feierlaune und ein gewisses vorübergehendes Laissez Faire der Autoritäten im Umgang mit Erziehungsgrundsätzen. Wir durften in der letzten Woche vor dem eigentlichen Karnevalswochenende durchaus auf Parties gehen, wir durften auch mal etwas lauter sein, durften manchmal sogar ein wenig Alkohol trinken, und zu spät nach Hause kommen, obwohl am nächsten Tag eine Klassenarbeit angesetzt war, was allerdings höchst ungewöhnlich war, denn die meisten Lehrer passten sich den Erfordernissen dieser speziellen Tage an. Den Goldenen Pädagogen mit dem Schwarzen Gürtel gewann dagegen unser Lateinlehrer, der es ok. fand, für den Karnevalssamstag (ja wir hatten damals noch jeden Samstag Schule) in der 9. Klasse eine zweistündige Lateinarbeit anzusetzen. Dabei wagte er es auch noch, unseren unmittelbar einsetzenden Protest mit einem Grinsen ins Leere laufen zu lassen, und das Angekündigte dann tatsächlich durch zu ziehen.
Latein war im Allgemeinen kein Fach auf das sich ein besonderer Ehrgeiz richtete. Durchkommen war alles, ein Ausreichend, also eine Vier auf dem Zeugnis für die meisten von uns kein Problem. Es gab damals wenig Interesse an Gesamtnoten von Zeugnissen, der Numerus Clausus war noch in den Anfängen. Also schüttelten wir diese gezielte Provokation, die zugleich auch als Witz durchgegangen wäre, ab, schrieben die Arbeit im jeweiligen Seinszustanddieses Morgens runter, und verabschiedeten uns nach dem einstündigen Nach-der-Schule-am Karnevals-Samstag Tanztee in unserer Tanzschule, die ganz in der Nähe mehrerer weiterführender Schulen lag, ins Wochenende.
Für einige meiner Freunde und einige Mädchen, die wir kannten, war der Abschied aber nur von kurzer Dauer, denn wir würden uns schon am gleichen Tag wiedersehen. Wir alle waren Gäste der Fete eines Mädchens, die erstmals im Hause ihrer Eltern feiern durfte. Für die Genehmigung hatte sie einen langen Überzeugungsfeldzug führen müssen. Ich war als Gast mit meinem Album voller Singles immer gerne gesehen, und war unter anderem deswegen auch eingeladen worden. Das Kalkul der Gastgeber war ok. Ich hatte wirklich die beste Singles Sammlung in meiner Altersgruppe weit und breit, zumindest meine Erinnerung macht mir dieses Kompliment.
Auf diesen Parties konnte man nur die Musik hören, die man tatsächlich als schwarze Scheibe vor Ort hatte. Möglichst jeder schleppte also zu solchen Anlässen an, was er besaß, und die Kundigen deejayten dann mit diesem Material die Party. Die Feiern waren meist relativ kurz, oft brachten die Eltern ihre Kinder mit dem Auto und holten sie zu einem bestimmten Termin auch wieder ab. Die Zeit, die zwischen diesen Fixpunkten lag, war kostbar, und nach einer kurzen Aufwärmphase tanzten wir auf jeder Party durch, bis die ersten Abholer kamen, die dann von den Eltern der jeweiligen Gastgeber/innen noch in kurze Gespräche verwickelt wurden, die einen Abschied in Ehren, eine Verabredung für die nächste Woche oder ähnlich Segensreiches möglich machten.
Auch diese Party fing mit 17 Uhr früh an, sollte bis 22 Uhr gehen. Die obligatorische Schnittchenplatte war schon an ihrem Platz, außer Limonaden und Säften gab es sogar etwas Bowle für die jungen Gäste. The Troggs waren zu dieser Zeit die ultimativen Tanzparty-Knaller. Wild Thing, I Can’t Control Myself, Hold Tight von Dave Dee und Get Off Of My Cloud von den Rolling Stones brachten jeder Feier zusätzlichen Schwung. und natürlich die ganzen Beatles Singles. Dann kam irgendjemand auf die Idee, für einen Moment das Licht zu löschen. Wir tanzten im Dunkeln weiter und begrüßten das wieder aufflackernde Licht mit lebhaften Ausrufen. In den Augenwinkeln sah man das eine oder andere Paar sich bei Rückkehr der Helligkeit wieder aus einer flüchtigen Umarmung lösen. Die meisten allerdings waren hier ohne Partnerin erschienen. Die Hell/Dunkelphasen blieben ein running gag und mancher und manche spürten, dass hier etwas möglich war. Besonders unsere Gastgeberin schien bester Laune. Als wieder einmal das Licht aufflackerte, sah ich noch wie sich ihre Lippen gerade von den Lippen meines Freundes trennten. Mir war nicht bekannt, dass er schwärmerische Gefühle für sie empfand. Offensichtlich aber passierte hier etwas. Wir tanzten weiter und ich nahm noch wahr, wie sie sich bei Twist And Shout von den Beatles in meine Richtung bewegte. Bei Things We Said Today verlöschte das Licht und ich fühlte ihre Hände auf meinem Gesicht. ich wußte, es würde jetzt passieren, ich legte meine Hände auf ihre Hüften, spürte kurz ihren Atem, dann ihren Mund auf dem meinen, und ihre Zunge, die sich zwischen meine Lippen schob, die wiederum wie ferngesteuert ihre Aufforderung annahmen. Auch meine Zunge bewegte sich nach vorne, auch meine Lippen öffneten sich einen Spalt und unsere Zungen kamen in Kontakt. Wir KÜSSTEN uns. Ganz vorsichtig.
Da-ha-s wars also, das Geheimnis war gelüftet, sie hatte es mir gezeigt und es war … o.k. Ich hatte zum Beispiel keinen Ekel empfunden. Ein bisschen hatte mich auch diese Vorstellung beunruhigt. Aber nein, da war nichts in dieser Richtung. Küssen ist ein gutes Gefühl. Dennoch war ich ein wenig aus dem Gleichgewicht. Was bedeutete mir das jetzt. Ich war nicht verliebt gewesen. Ich war zudem nicht der einzige gewesen. Ich glaube sogar, ich sah sie noch mit einem dritten Jungen knutschen. Doch das beunruhigte mich am wenigsten. Ich hatte geküsst und war geküsst worden. Nichts würde mehr so sein wie davor. Es ging weiter voran im Leben. die Party ging weiter, und alles war gut. Ich unterhielt mich sogar im Laufe des Abends einige Male mit unserer Gastgeberin. Auch tanzten wir noch einige Male in enger Umarmung, das was wir damals Klammerblues nannten. Und obwohl sie vorher nicht das Mädchen meiner Wahl gewesen war, entstand doch so etwas wie ein freundliche Sympathie füreinander und ich war bereit, sie in der folgenden Woche einmal alleine auf zu suchen. Als ich an diesem Karnevalssamstag wieder zurück in meinem Zimmer war, der Vater einer meiner Freunde hatte mich in seinem Auto mitgenommen, schlief ich recht bald mit einem Lächeln ein. So muss es gewesen sein.Jedenfalls fühlt sich diese Erinnerung genau so an.
Wir trafen uns noch ein paarmal , stellten aber bald fest, dass wir uns zwar mochten, aber keine tiefere Notwendigkeit für die Vertiefung dieses Gefühls verspürten. Dieser erste Kuss blieb ein kleines Monument auf meinem Weg ins Leben, aber wir, die wir geküsst hatten, wurden kein Paar, wurden keine Geschichte, aber blieben dieser eine schillernde Augenblick.