die „here comes the judge“ sessions, teil 1
Ich habe in letzter Zeit begonnen, mich mit dem auf der ganzen Welt geschätzten und bewunderten Maler Gerhard Richter zu beschäftigen. Natürlich kannte ich schon den Namen und hatte auch schon das eine oder andere Bild in einem Museum hängen sehen. Mein Interesse wurde aber verstärkt durch den von den Kinogängern und Kritikern sehr unterschiedlich rezipierten Spielfilm „Werk Ohne Autor“ (2018), der versucht die Biographie des Künstlers nachzuzeichnen. Ich habe ihn vor einigen Monaten im Kino gesehen. Durch ihn wurde Gehrhard Richter zu einem festen Bezugspunkt für mein Nachdenken über die Kunst, Bilder zu gestalten. Mit Korona kam Zeit und gleichzeitig eine kreative Entschleunigung in mein Leben und so entstand Platz für den Film „Gerhard Richter Painting“ (2013), in dem eine Journalistin immer wieder versucht – ich habe das Gefühl gehabt, es hätte auch etwas inspirierenderes Nachfragen nicht geschadet – Gerhard Richter während der Entstehung seiner Bilder zu Kommentaren, Erklärungen und der Mitteilung von Gedanken zum Prozess der Bildentwicklung, zum Problem der Abgeschlossenheit eines Bildes, oder einfach nur zum Malen selbst zu veranlassen. Dieser Film hatte meine volle Aufmerksamkeit. Zu meinem Erstaunen habe ich immer wieder auch meine kleinen Erfahrungen in seinen großen gespiegelt gesehen. Damit meine ich nichts Anmaßendes – ich bin mir des Elends meiner handwerklichen Kunst des Malens und Zeichnens voll bewusst – sondern beziehe mich auf das, was ich schon in den Anfängen dieser Website formuliert habe. Wer immer sich dem Malen zuwendet, egal wann in seinem Leben oder wie gut seine handwerklichen Fähigkeiten sind, er/sie begibt sich in eine Seinsstruktur (mir fällt gerade nichts Schlichteres ein), die man das Bild-Kunst-Ich nennen könnte. Hier stellen sich von Anfang an im Moment der ersten Bildplanung dem großen wie dem kleinen Maler die gleichen Fragen. Oft sind die Antworten intuitiv und unscharf. Schon nach wenigen Aktionen aber, unabhängig davon, wie planvoll sie sind, beginnt das Bild ein Gegenüber zu werden, das mit seinem Schöpfer ein Verhältnis eingeht. Es fragt, es fordert, es braucht, es schweigt. Und der Maler sucht malerische, gestaltende Antworten. Je kreativer, freier und offener er sich auf diesen Prozess einlässt, umso weiter entwickelt sich die Bild-Gestalt. Aber es kommen immer wieder auch die Momente der Ratlosigkeit, ja die Gefahr des Abbruchs. Und darauf ist Gerhard Richters Antwort: wenn der Maler nicht weiter weiß, muss er sich dem Zufall anvertrauen. Und der sei eigentlich immer der bessere Maler, sagt Richter. Verpasst der Maler diesen Moment, dann geht der Maler zu weit und zerstört sein Bild mit seinem Eigensinn, einer Art Machtergreifung, besser vielleicht Machtanmaßung (beides nicht Richters Worte) gegenüber dem Ästhetischen. Er ÜBERmalt, weil er den Kontakt zum Prozess oder zum Objekt verloren hat. Gerade bei den abstrakten Werken erfordert der beschriebene Entstehungsprozess besondere Konzentration und Sensibilität, weil sie einer rein ästhetischen Logik folgen, die einzig der Maler in einer nur als Kunst denkbaren subjektiven Logik verantwortet. (Ende Teil 1)
Ich werde versuchen, diese Gedanken fortzusetzen. Sie sind aus dem Moment entstanden, meine Erinnerungen an Richters Äußerungen sind sinngemäß wiedergegeben, wenn ich Unsinn erzählt habe, werde ich versuchen, mich zu korrigieren oder auf Knien zu widerrufen.
…und das auch noch: Ein Richter heißt im Englischen judge. Sessions ist so etwas wie Versuchen und Ausprobieren und immer weiter und weiter gehen. Das versuche ich in diesen Tagen auch. Meine Aufgabenstellung lautet: löse dich vom Gegenständlichen, male abstrakte Bilder, Gemälde, was auch immer. Und finde einen Weg, dies ganz anders zu machen.
Was noch gesagt werden muss: „here comes the judge“ ist eine Soul45 aus den 60er Jahren (1968) von SHORTY LONG auf dem Motown Label. Die Originalversion des Songs von dem Comedian Pigment Markham war kurz zuvor im gleichen Jahr bei Chess herausgekommen.