Es gab mal eine Zeit, da hörte man Popmusik von Singles, diesen kleinen schwarzen Scheiben. Man sammelte sie in Alben, dem Zeitgeschmack entsprechend flott bedruckte, kleine Plastikwälzer, die ungefähr 20 dieser Scheiben aufnehmen konnten, aber bis ein Album wirklich voll war, war es meist ein weiter Weg. Ich vermute, dass der Begriff Album genau von dieser beliebten Unterbringungsform einstmals abgeleitet worden ist.
Diese Welt der Pop Singles, zunehmend auf ein jugendliches Publikum zielend, war zumindest in der Bundesrepublik eine Welt, die abgekoppelt war vom Mainstream und das hieß damals vor allem vom Radio. Das Radio hielt das vermeintlich kulturelle Gute in Ehren. Es gab Klassik Wunschkonzerte, Kochrezepte, Gottesdienst live, abwechselnd katholisch und evangelisch. Klassik Meisterkonzerte, Gespräche mit nachdenklich und geräuschmäßig nachvollziehbar an ihren Pfeifen kauenden und saugenden Schriftstellern, ein gewisses Alter vorausgesetzt,und es gab eine stets mit großem Ernst zu bedenkende Welt der Politik. Der Jugend war ein „Abend für Junge Hörer“ gewidmet, der sich vorsichtig an altersspezifische Problemlagen heranpirschte, vor allem aber sich damit brüsten konnte, dass er junge Stimmen ins Radio brachte, aber noch weit davon entfernt, sie auch ungefiltert zuzulassen. Es war sehr braves Entertainment, an der Grenze zur Langeweile, zumindestens ich konnte nie ein tieferes Interesse für die Sendung aufbringen. Dass die Macher der Sendung trotzdem als Pioniere gelten müssen, ist ein dramatischer Hinweis auf die Borniertheit der damaligen kulturtragenden Akteure.
Sorry, zurück zur eigentlichen Geschichte. Allerdings erstmal noch weitere Allgemeinheiten.
Zu Beginn der sechziger Jahre gab es eine Preisbindung für Produkte des Kulturellen Lebens, wie Bücher (bis heute), aber auch Schallplatten (bis in die siebziger Jahre hinein). Das hatte den Vorteil, dass man eine bestimmte Schallplatte in der gesamten Bundesrepublik zum gleichen Preis bekam. Das gleiche galt auch, wenn auch sehr wahrscheinlich gestuft, für den Einkauf der Ware durch den Einzelhändler. Dadurch gab es durchaus die Perspektive, mit einem kleinen Plattenladen seinen Unterhalt zu bestreiten. Oft war es auch, den heutigen Poststationen in Supermärkten entfernt verwandt, eine Ladenecke in einem größeren Laden, wo das begehrte Gut geographisch dezentral und weitgehend flächendeckend in unserer Republik angeboten und verkauft wurde. Ein Laden nach diesem Organisationsmodell war das Lampen- und Elektrokleingeräte verkaufende Geschäft „Elektro Zengerling“ (heute lecken sich Bands die Finger nach so einem gelungenen Bandnamen) in Leverkusen Schlebusch, dem damaligen Wohnort meiner Familie. Das Schicksal meinte es auf jeden Fall gut, denn in diesem Laden stand sie, die Platte, die all das verkörperte, was in meinem damaligen Leben von Bedeutung war: Die erste Langspielplatte der Rolling Stones – und ich konnte hoffen, dass sie auch noch länger dort stehen und auf mich warten würde.
Langspielplatten waren damals noch kein alltäglicher Konsumartikel. Sie kosteten 18 DM, das war ein Höllenpreis. Etwas derart Wertvolles bekam man zu Weihnachten oder zum Geburtstag geschenkt. Oft ohne gefragt zu werden und dann waren es so fürchterliche Verschwendungen wie das Non Stop Dancing Nummer 2 von James Last (so ist es mir widerfahren). Ich aber wollte mein Schicksal in die eigene Hand nehmen. Mein Taschengeld betrug damals höchstens 5 Mark die Woche, aber man hatte ja auch so seine Ausgaben. Am Wochenende konnte ich bei gutem Wetter 2 Autos waschen und einmal Rasenmähen, das machten insgesamt 3 Mark zusätzlich. Aber ich konnte einfach nicht leben wie ein Mönch. Man hatte ja auch Durst und Hunger, so zwischendurch. Ich kam mit dem Ansparen irgendwie nicht von der Stelle. Aber mich erfüllte ein so heißes Begehren nach dieser Platte, dass ich bereit war, dafür alles zu tun. Ich würde mich für 18 DM ausliefern, ich würde mich sogar versklaven. So kam mir in den Sinn, meiner Mutter ein Angebot zu machen, das sie kaum würde ausschlagen können.
Die Sommerferien hatten angefangen und unser Garten, angrenzend an eine größere Wiese, die abwechselnd Kühe oder Pferde oder Schafe beheimatete, lag seit Tagen in der strahlenden Sommersonne. An der Grundstücksgrenze zog sich ein ca. 20 m langes, fast einen Meter breites Beet, in dem sich die Erdbeeren mit dem Unkraut, das von der Weide strategisch unterstützt wurde, einem schier aussichtslosen Verdrängungswettbewerb stellten. Deshalb machte ich meiner Mutter, die sich im Normalfall um den Garten kümmerte, ein Angebot. Ich würde den Kampf auf Seiten der Erdbeeren führen und ihr schienen die Aussichten so verlockend, dass sie ungläubig einwilligte, obwohl ich mir bis dahin kaum einen Namen als Gärtner gemacht hatte. Aber der von mir verlangte Megalohn, gab sie wohlwollend zu, stand durchaus im Verhältnis zu der zu leistenden Arbeit.
Es wurde ein langer, langer Tag. Der Schweiß klebte mir das Hemd am Körper fest, die zahlreichen Bremsen bliesen immer wieder zum Angriff, Bienen und Fliegen und Mücken summten um mich herum, Arbeitshandschuhe waren für gärtnernde Privatleuten eher unbekannt, Verweichlichung war immer noch ein Thema, aber die Vision trieb mich an, machte mir immer wieder Mut, gab mir Zuversicht und als die Sonne langsam an Kraft verlor (die Sommerzeit war damals noch ein unbekanntes Phänomen) war die Arbeit tatsächlich geschafft und jede Erdbeerpflanze räkelte sich in ihrer neuen Freiheit auf den dunklen Krumen des Beets, das ich zum Abschluss noch einmal frisch gewässert hatte.
Dann eilte ich zu meiner Mutter, bekam meinen Lohn wie abgesprochen, und schwang mich, nur ansatzweise von den Spuren meiner Arbeit gesäubert, auf mein Fahrrad, betrat fünf Minuten vor Ladenschluss den Verkaufsraum, strebte auf geradem Wege, eine nicht wirklich genehmigte Abkürzung, durch einen Dschungel hängender Deckenlampen auf den Tresen zu, Da stand sie noch an ihrem Platz, meine Rolling Stones LP. Meine geschundenen Hände überreichten stolz das Geld, das ich abgezählt seit meinem Start von zuhause fest in meiner Hand gehalten hatte und das „Frollein Ruth“, wie die Ladenbesitzerin sie immer nannte, überreichte mir mit einem Lächeln die Platte meiner Träume. Ich glaube, wir beide wussten, dass in diesem Moment eine besondere Beziehung begann, denn ich würde noch oft an diesem Tresen stehen, mit abgezähltem Geld und mit ihr die seltsamerweise nie ausgesprochene Begeisterung für diese neue Musik teilen. Ich hatte nie ein Gefühl dafür, wieviel älter sie im Vergleich zu mir war, aber noch in den neunziger Jahren stand sie am Plattentresen und wir erkannten uns wieder und wechselten ein paar Worte über den Niedergang des Plattengeschäfts.
Das ist eigentlich meine Geschichte. Aber ich möchte doch noch etwas hinzu fügen.
Also noch einmal zurück zur Geschichte …..
Fortsetzung folgt.