lp-stories 3 – john mayall „the turning point“
John Mayall war, neben Alexis Korner, während der sechziger Jahre wesentlich an der Entstehung der britischen Bluesszene beteiligt. Durch seine Schule, und damit ist seine Bluesbreakers genannte Band gemeint, waren so viele in so schnellem Wechsel gegangen, hatten als Blues-Eleven eingecheckt, und hatten, als gereifte Musiker mit Star-Potential, mit ihren neugegründeten eigenen Bands in der Szene schnell Karriere gemacht. Ein Eric Clapton kam und ging, Peter Green fand hier die Musiker für seine Band Fleetwood Mac, es entstand die Keef Hartley Band, die Aynsley Dunbar Retaliation, und die Rolling Stones rekrutierten bei John Mayall ihren neuen Gitarristen Mick Taylor. Mit sicherem Instinkt sammelte Mayall die Talente ein, und entließ sie dann in die Selbstständigkeit – und das bestimmt immer wieder mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Der durch diese permanente Zellteilung ausgelöste englische Blues-Boom stand zum Ende der sechziger Jahre in voller kommerzieller Blüte und ergriff auch den Kontinent. Und dann, wie Gott in der christlichen Schöpfungsgeschichte nach sechs anstrengenden Tagen am siebten Tage beschloss zu ruhen, hielt auch John Mayall inne, und erfand wie nebenbei das Unplugged-Format, indem er seine neue Band ohne den Rückgriff auf die Erfolgsformel der vergangenen Jahre zusammensetzte. Das Schlagzeug wurde zum verzichtbaren Instrument erklärt (die Musik der sechziger Jahre hieß ja zunächst in ungenauer Zutrefflichkeit BEATmusik), dem elektrifizierten Instrumentarium der vergangenen Jahre wurde der Stecker gezogen, die einzige Ausnahme war die von Steve Thompson gespielte Bassgitarre und ab und zu eine von Mayall selbst gespielte, dezent auftretende E-Gitarre. Für die neuartige Klangwelt dieser Band von besonderer Bedeutung waren aber die akustischen, zum Teil wie eine spanische Gitarre gezupften Tonfolgen von Jon Marks Konzertgitarre, und die warmen atmosphärischen Beiträge von Johnny Almond auf Saxophon und Flöte. Und auch Mayalls Mundharmonikabeiträge bekamen eine neue konzertante Note. Dieser nahezu revolutionäre, auf jeden Fall mutige Schachzug sollte sich auszahlen. Mit der Single „Room To Move„, dem letzten Song der damaligen LP gelang John Mayall ein Erfolg in den Charts, mit dem keiner gerechnet hatte. Das neue Konzept wurde ein voller Erfolg. Die Musiker, denen die Orientierung am Schlagzeug genommen war, mussten sich gegenseitig stützen und fordern, jeder hörte auf jeden, und so entstand eine Musik, die die Dynamik einer Meeresbrandung hatte, ein Gleichmaß, das durch die wechselnde mal solistische, mal rhythmische Bewegung aller entstand.
Im Januar 1970 kam John Mayall mit dieser Band nach Kiel, wo ich in diesem Wintersemester einen letzten Versuch unternahm, dem begonnenen Jurastudium einen Sinn zu verleihen. Es wurde nichts damit, aber dieses Konzert wurde zum zweiten, zugleich aber auch absoluten Höhepunkt* dieses Winters in Kiel, das ich im Frühjahr wieder verließ, auf zu neuen Abenteuern des Lebens. Jura war damals wirklich nicht mein Ding. Aber diese Band wars. Und die Aufnahmen, die alle live eingespielt worden waren, haben bis heute nichts von ihrer atmosphärischen Besonderheit eingebüßt. Die LP, schon vor diesem für mich so denkwürdigen Konzert in Kiel aufgenommen, fängt genau diese Momente der Tour ein, und wer sich die remasterte CD genauer ansieht, wird feststellen, dass sie das Hörerlebnis mit drei weiteren Songs der damaligen Tour verlängert.
*Der erste Höhepunkt war das Konzert der Band Spooky Tooth, die ihre 2. LP vorstellte. Ich werde noch einmal darauf zurückkommen, weil in diesem Zusammenhang, lässt sich auch einiges über das Lebensgefühl, das die Zeit in Kiel für mich brachte, erzählen. Das werden einige Zeilen werden. Also Geduld, liebe Leser.