die madonna mit dem kind
Der Vorratshaltung war in unserer Familie ein ganzer Raum im Keller des Mehrfamilienhauses gewidmet, in dem wir seit 1958 wohnten. Hier stand das Eingemachte in Gläsern, Pflaumen, Apfelmus, Birnen und Mirabelle. Hier lagerten Mehl, Zucker und Salz. Nudeln, einige Fleischkonserven, Tütensuppen, Maggiflaschen und was sonst noch im täglichen Haushalt gebraucht wurde. Hier stand auch das Bier, Export sagte das Etikett, das ich schon in jungen Jahren unter Einsatz meines Lebens für meinen Vater aus dem dunklen Keller in die Wohnung im Hochparterre holen durfte. Auch lagerten hier einige Kisten Weißwein, aufgeteilt in Rhein- und Moselweine, die einen in grünen Flaschen, die anderen in den Braunen, selbstverständlich bezogen über den omnipräsenten Vertrieb der Firma Pieroth. Rotwein wurde erst in den siebziger Jahren ein Thema. Aber das sind andere Geschichten.
Es waren die Nachwehen des Zweiten Weltkriegs, die sich in diesem Regal materialisiert hatten. Einerseits fand in diesen geordneten Warensäulen der gestiegene Wohlstand seit dem Ende des Krieges seinen Ausdruck, zugleich bedeutete die Lagerhaltung aber auch die Vorbereitung auf den nächsten, den jeder „Realist“ jener Zeit in nicht ferner Zeit erwartete. Auch die Wegwerfgesellschaft, wie man sie bald im gesellschaftskritischen Gespräch nennen sollte, durchbrach diesen peniblen Nutzungsplan, indem immer mehr Nichtlebensmittel in die Ritzen dieser Ordnung drangen. Der Wirtschaftsaufschwung brachte es mit sich, das alte Dinge gegen neue ausgetauscht wurden, obwohl diese noch ihre Funktion erfüllten, einfach nur weil sie schöner, vor allem „moderner“ waren. Der Frevel schien geringer, wenn man ihnen wenigstens einen Platz im selben Haus zuwies, den sie aber nie so ganz einzuhalten in der Lage waren. Da lagen alte Lampen, alte Töpfe, undefinierbare stromgetriebene Maschinen und anderes Zeug, dessen praktischer Nutzen mir sich damals nicht erschloss. Zwischen all diesem Kram einer permanenten innerfamiliären Haushaltsauflösung entdeckte ich irgendwann einmal ein verstaubtes Bild. Es zeigte eine Frau mit einem Kind auf dem Arm.. Aus einem mir nicht ganz nachvollziehbaren Impuls nahm ich es mit, befreite es vom Schmutz der achtlosen Lagerung und gab ihm in meinem Zimmer einen Platz an der Wand.
Irgendwie wurde es meins und es blieb meins bis heute. Nicht immer hing es an der Wand, auch bei mir war die Karriere des Bildes unstet. Aber ich habe es nie entsorgt. Mein Vater erzählte mir anlässlich eines Besuchs der jungen Familie, die wir irgendwann waren, er habe es in den dreißiger Jahren in seiner Studienzeit in München gekauft und dort habe es seine kleine Studentenbude geschmückt. In diesem Bild sei ihm damals sein Frauenideal erschienen. Zunächst blieb mir das ein Rätsel. Mein Vater hatte durchaus einen Sinn für die Frau als sinnliches Wesen, wie seine vorsichtigen Andeutungen mir insgeheim manchmal mitteilen sollten. Er bemerkte Frauen, die sexy waren, Frauen, wie sie die Pin-Ups des Playboy formelhaft ins Bild setzten. Doch in diesem Bild einer „Madonna mit Kind“ muss er so etwas wie ein metaphysisches Pin-Up gesehen haben. Zur Zeit hängt es in unserem Wohnzimmer. Ich habe es gesäubert und neu gerahmt und ein Foto von dem Motiv gemacht. Als ich anfing es auf meine Art zu malen, ist dieses Bild entstanden. Ich weiß nicht. Ich bin noch unschlüssig. Mögen andere darüber urteilen. Du zum Beispiel…
„Only One Woman“ war ein Hit meiner Jugend in den sechziger Jahren, Ein One-Hit-Wonder des Gesangduos THE MARBLES, geschrieben von den Bee Gees. Der Titel war aber kein moralischer Imperativ, als der er im Kontext meines Bildes erscheinen könnte, sondern drückte die Verwunderung eines womanizers aus, dass so etwas wie eine einzelne Frau durch das Medium der Liebe (vielleicht war es ja auch was „sexuelles“, (ein Wort, das man damals buchstabieren lernte) solche Macht über die eigenen Gefühle gewinnen konnte, obwohl es doch auch noch viele andere gäbe, die eine Option wären. „she was only one woman, BUT I’m gonna miss her….“ singt der widerwillige Monogamist. Ja, das Leben kann manchmal hart sein.