Auf der never-ending tour nach einem Facharzt, der sich meiner erbarmt, war ich zum Zweit- und wie sich herausstellte Letztbesuch in eine nur eine halbe Stunde entfernte Kleinstadt gefahren. Als ich die Praxis am Sonnabend des vierten Advents mit dem Gefühl verließ, mir ärztliche Hilfe ergaunert zu haben, denn die gute Frau Doktor, selbst offensichtlich nicht mehr bester Gesundheit, verfluchte ihre nachbarstädtischen Kollegen, ob ihrer Faulheit („die Behandlungsmethode ist aber sowas von vorgestern, wann hat denn der werte Kollege seine letzte Fortbildung gemacht“) und Berechnung („diese Behandlung kostet Geld, nützt aber nichts, nicht wahr“) gegenüber ihren eigenen Patienten. Sie sähe sich einfach körperlich nicht mehr in der Lage, weitere Patienten zu versorgen. Sie sprach offensichtlich die Wahrheit. An einem Samstagmorgen in einer regulären Sprechstunde. Man habe“ ja schließlich einen Eid gesprochen“. Ich zog mich zurück. Respekt, Frau Doktor.
Wenig später, zurück auf der Straße, brauchte ich zu meiner Beruhigung einfach ein paar Schritte an der frischen Luft. Von der Fußgängerzone, die gabs auch hier, hörte ich relativ intonationssichere Weihnachtsmusikanten, und folgte ihrem Ruf mitten ins Herz der kleinen Stadt. Hier war vorweihnachtliche Geschäftigkeit, die auch nicht durch die Vielzahl der hier seit vielen Jahren ansässigen Migranten gebrochen wurde, gepaart mit einer, wie überquellende Taschen verrieten, keine Grenzen mehr kennenden Entschlossenheit zum Heimdeko-Finale. Dies zeigte sich auch, als ich ein Kaufhaus betrat, wie es sie früher auch in meiner Heimatstadt gegeben hatte und genauso auch in meiner Wahlheimatstadt. Das dortige Warensortiment beschwor ein Déjà-vu herauf. Alles was in unserer Gesellschaft als teuer und Indikator für noble Kreise gilt, wurde hier durch ein überaus preisgünstiges, meist unbeholfen wirkendes Duplikat repräsentiert. Hier fanden sich die breitesten Goldränder auf Tellern ever, die dicksten Schokoladen, die kristallensten Gläser und Schalen. Und am Kopfende eines der vielen Gänge hingen sie: drei Masken, aus deren hohlen Augen sich die Aufhängehaken herausbohrten, weil auch hinter den Masken sich keine Wahrheit andeutete, sondern nur weitere Masken, die wiederum weitere Masken verbargen. Ich stand vor ihnen, fragte nach dem Grund ihres Hierseins, aber ihr Blick verriet mit keiner Miene, dass sie mich verstanden. Zu guter Letzt machte ich ein Foto von ihnen und mir schien es für einen Moment, als hätte ich die mittlere, die sich scheinbar am meisten für mich interessierte, lächeln gesehen. Aber als ich die Fotos von diesem Vormittag zuhause betrachtete, konnte ich davon nichts entdecken. Als ich sie mit meinen Linien und Farben in ein Leben zurückholte, dass sie noch garnicht kannten, wirkten sie so, als hätte ich vieles richtig gemacht. Oder so ähnlich. Vielleicht würden in diesem Winter auch wieder Schneemänner gebaut.